Synchronisation als Ton-Bild-Verhältnis

2 What the phonograph does for the ear

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden Apparate gebaut, mit denen Töne und bewegte Bilder in der Zeit sich selbst aufzeichnen und wiedergegeben werden können: Grammophon und Film.[6] Diese technischen audiovisuellen Medien könnten als die materialisierte Theorie[7] der Trennung der Sinne[8] oder des Autonomwerdens von Auge und Ohr im 19. Jahrhundert bezeichnet werden, insofern sie auf ein bestimmtes Wissen von der Spezifität der einzelnen Sinne rekurrieren und dieses in der Unterschiedlichkeit ihres technischen Funktionierens implementieren.[9] Eine auf diesen Medien basierende Herstellung von Ton-Bild-Relationen stellt sich, weil ihre Unterschiedlichkeit insbesondere auch ihr zeitliches Funktionieren betrifft, als ein Problem der Gleichzeitigkeit dar.

Zwischen 1888 und 1895 unternehmen Thomas Alva Edison und William Kennedy Laurie Dickson verschiedene Versuche, die von der Idee ausgehen, dass es möglich wäre, ein Instrument zu entwickeln, das für das Auge das tun würde, was der Phonograph für das Ohr tut, und dass durch eine Kombination der zwei alle Bewegungen und Geräusche gleichzeitig aufgezeichnet und wiedergegeben werden könnten.[10] Anhand dieser Versuche lässt sich nachvollziehen, wie der Kinetograph und das Kinetoskop sich gegenüber dem Phonographen zunehmend verselbstständigen,[11] weil die Koppelung von Bild- und Tonapparaturen hier ein Problem aufwirft, das sich in ähnlicher Weise bis heute in audiovisuellen Medien wiederfinden lässt: Der Phonograph muss stetig bewegt werden und, weil sich Geschwindigkeitsschwankungen sehr leicht in hörbaren Tonhöhenschwankungen niederschlagen, möglichst gleichmäßig laufen. Das kinematografische Prinzip dagegen beruht gerade auf der Zerhackung oder Diskretisierung von Bewegung in stillstehende Einzelbilder, die in schneller Folge wiederum eine Bewegungswahrnehmung ergeben. Das Filmband wird für die Zeit der Belichtung angehalten und dann bei geschlossenem Shutter ruckartig zum nächsten Bild weitertransportiert. Wegen dieser Differenz zwischen kontinuierlichem und diskontinuierlichem Antrieb ist die direkte, starre, mechanische Verbindung der beiden Geräte, zum Beispiel über eine gemeinsame Achse, unmöglich.[12] Eine genaue zeitliche Zuordnung von Ton und kinematografischem Bild, ihre Synchronisation, bedarf also irgendeiner Art von Vermittlungs- oder Übersetzungsoperation. [Dickson Experimental Sound Film] (ca. 1895), ist im Zusammenhang dieser frühen Experimente Edisons und Dicksons zu verstehen.

Rheinberger, Experiment, Differenz, Schrift, 1992, S. 22f. Er zitiert dabei: Gaston Bachelard, Der neue wissenschaftliche Geist, Frankfurt/Main, S. 18. Rheinberger verwendet diese Wendung nur im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, sie scheint mir jedoch für den mediengeschichtlichen Einsatz hier sehr geeignet.  
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