Dickson Experimental Sound Film

Der Film [Dickson Experimental Sound Film][1], aufgenommen 1894 oder 1895, gilt als der älteste erhaltene Tonfilm. Er zeigt neben einem großen Phonographentrichter den Violine spielenden William Kennedy Laurie Dickson – eben jenen Dickson, der zu dieser Zeit für die Entwicklung des Kinetographen in Thomas Alva Edisons Labor zuständig war – und zwei nicht näher identifizierte junge Männer, die unbeholfen miteinander zur Musik tanzen. Als synchroner Tonfilm existiert er jedoch erst, seitdem im Jahr 2000 der Cutter und Sounddesigner Walter Murch Ton- und Bildspur mithilfe eines digitalen Schnittsystems zusammenfügte, die unabhängig voneinander als Wachswalze in der Edison Historical Site und als Filmkopie in der Library of Congress gelagert waren.[2] Das hier unternommene Experiment steht am vorläufigen Ende der verschiedenen Versuche Edisons und Dicksons, eine technisch exakte und stabile Kette der Gleichzeitigkeit von Ton und Bild herzustellen, die von der Aufnahme bis zur Wiedergabe reicht. Bei der Aufnahme von [Dickson Experimental Sound Film] könnte es eine elektromechanische Synchronvorrichtung gegeben haben, wie sie von Dickson beschrieben wurde.[3] Das kurz darauf von Edison vermarktete Kinetophon, ein Kinetoskop mit zusätzlich eingebautem Phonographen, verfügte jedoch über keinen Synchronmechanismus, außer in dem Sinne, dass beide Geräte gleichzeitig gestartet wurden. Zu diesem Apparat wurden hauptsächlich Tanz- und Marschszenen angeboten, die von einer passenden, aber nicht synchron aufgenommenen Musik begleitet wurden.[4] Bewegung, die auf Musik reagiert – und eben nicht eine Produktion von Ton oder Sprache im Bild – erleichtert tendenziell die Wahrnehmung von Synchronität.[5] Diese Motivwahl könnte daher als Strategie verstanden werden, die Herstellung von Gleichzeitigkeit in den Betrachter – in seine Wahrnehmung hinein – zu verlagern. Das Experiment von [Dickson Experimental Sound Film] stünde damit nicht nur am Ende einer Reihe technischer Versuche, sondern am Anfang der Aushandlung eines spezifischen audiovisuellen Kontrakts[6] zwischen Technik und Wahrnehmung.


Die eckigen Klammern, wie sie Patrick Loughney, der zur Zeit der ersten öffentlichen (asynchronen) Vorführung des Films und des Tons 1998 Curator of film and television der Library of Congress war, für diesen Film durchgehend verwendet, weisen, so Loughney, darauf hin, dass es sich um einen supplied title handelt, d. h. dass es keinen offiziellen Titel gibt, es sich also um einen temporären deskriptiven Titel handle, bis eine breite Übereinkunft über einen zuverlässigen permanenten Titel erreicht sei. Vgl. Patrick Loughney, »Domitor Witnesses the First Complete Public Presentation of [Dickson Experimental Sound Film] in the Twentieth Century«, in: Richard Abel, Rick Altman (Hg.), The Sounds of Early Cinema, Bloomington–Indiana 2001, Anmerkung 1, S. 219.