Come Together – Let’s Dance

Popkultur und ihre gegenkulturellen Atmosphären, ihr eigenständiges ästhetisches Vokabular sowie ihre ökonomisch verdinglichten Verwertungszusammenhänge sind ein wichtiger Bestandteil der Sozialisation der Nachkriegsgenerationen. In ihren Produkten liegen auf ambivalente Weise gesellschaftsbezogene, kontrollierende, utopische, soundpolitische und ästhetische Äußerungen nahe beieinander. Der soziale Gebrauch wird in der Populärmusik besonders über Bilder und visuelle Codes vermittelt. Die Sounds werden begleitet von Tanz, Styling, Gesten und Inszenierungen – erst in diesem Miteinander entsteht ihr alltagskultureller und gesellschaftspolitischer Zusammenhang. In der Popkultur sind die dazugehörigen dokumentarischen Bilder, indem sie den richtigen Gebrauch vermitteln (Videoclips, Plattencover, Plakate u. a.), konstitutiv mit der Musik verbunden. Die unterschiedlichen Facetten dieses Feldes wurden bereits in zahlreichen künstlerischen Produktionen aufgegriffen und kommentiert. Dan Graham analysiert in seinem Videoessay Rock My Religion (1984) beispielsweise die widersprüchlichen sozialpolitischen Funktionen von Rock ’n’ Roll in der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft und vergleicht die Rituale der arbeitsamen Shaker – eine zölibatäre religiöse Sekte, die Sexualität und Spannungen über Musik und rituellen Gruppentanz ausagiert – mit den libidinösen Hysterien, die sich um die neuen Götter des Rock etablierten. In Form einer Collage aus Bildern, Found Footage und Texten thematisiert er damit die geschlechtspolitischen Fragestellungen und Veränderungen, die mit der körperbezogenen Musikkultur im Zusammenhang stehen. Sound- und Popkultur sind sowohl biografische Bausteine, die unterschiedliche Leben durchdringen und verbinden, als auch kommerzielle Konditionierungsmaschinen, die Gesten und Symbole aus einem subkulturellen gesellschaftspolitischen Zusammenhang in Konventionen und Stilismen gefrieren lassen. Dabei stehen Versprechungen von Unmittelbarkeit, Jugendlichkeit, Gemeinsamkeit und Gegenkultur zur Disposition. Dies drückt sich besonders im gemeinsamen Tanz aus. Im Unterschied zum bürgerlichen Paartanz ist das Tanzen in der Populärkultur eine Form der sozialen Kommunikation, die einerseits Raum für individuelle Interpretationen und Selbstausdruck bietet, andererseits eine Visualisierung des subkulturellen Know-hows darstellt. Dass sich in unterschiedlichen Tanzstilen und Musikrichtungen zudem auch sozialpolitische Geschichte abbildet, zeigt sehr deutlich Adrian Pipers Video Funk Lessons (1983), in dem sie u. a. thematisiert, wie weiße Popstars den Sound und Style der schwarzen Funk- und Blueslegenden kopierten und damit ökonomisch reüssierten, sowie die unterschiedlichen Funktionen von Tanz in schwarzer und weißer Kultur diskutiert. Eine ähnlich wichtige Rolle spielen popkulturelle und politische Bezüge auch in den Werken von Mathias Poledna. Untersucht werden darin Fragmente der Kultur des 20. Jahrhunderts und die darin enthaltenen vielschichtigen Dimensionen kultureller Repräsentation. In seinen jüngsten Arbeiten thematisiert Poledna dabei gerade das Zusammenspiel von Bild und Ton. In Version (2004), einem Tanzfilm ohne Ton, erzeugen die nostalgische Aufnahme auf 16-mm-Film, die tranceartig gleitenden Bewegungsabläufe der Darstellerinnen und Darsteller und die Art, wie die Kamera sie nur fragmentarisch aufnimmt, widersprüchliche Assoziationen: einerseits an den abstrakten Tanz von Formen, wie er in frühen tonlosen, absoluten Filmen von Interesse war, andererseits an den modernen Tanz. Das Rätsel um den unhörbaren Sound, zu dem sich die Tänzerinnen und Tänzer in Version bewegen, löst sich erst in einer anderen Arbeit Polednas mit dem Titel Sufferers’ Version (2004), in dem der Song Working Hard for the Rent Man des politischen Reggae- und Dub-Performers Junior Delahaye die eigenartige Tanzszene begleitet. In dieser Version werden die abstrakt wirkenden, sich endlos wiederholenden tranceartigen Bewegungsabläufe zum unheimlichen Traumbild einer Gesellschaft, in der sich hedonistische Jugendkultur, kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse, Protestsongs, moderne Tanzphilosophie und die Monotonie körperlicher Arbeitsabläufe auf das Engste miteinander verschränken.

Hans Weigand, Disco Boys, 1977

Dan Graham, Rock My Religion, 1982–84

Adrian Piper, Funk Lessons, 1983

Józef Robakowski, Moskwa, 1985–86

Heidrun Holzfeind, CFOXC / FOX IN THE BOX, 1998

Michaela Melian, Convention, 1999–2000/2009

Mathias Poledna, Version, 2004

Matt Stokes, Long After Tonight, 2005

Atelier Hopfmann (Judith Hopf, Deborah Schamoni), Hospital Bone Dance, 2006