Audiovisuelle Software-Kunst

5 Generative audiovisuelle Systeme

In den vorangegangenen Abschnitten sind verschiedene Genres audiovisueller Softwarekunst erörtert worden, Systeme, die auf Musik als Grundlage für ästhetische oder analytische Visualisierungen aufbauen, Kunstwerke, die Daten der realen Welt mit grafischen oder akustischen Mitteln darstellen, und solche, bei denen Interventionen des Users die Synthese von Animation und Musik steuern. In einem vierten, ebenfalls bedeutenden Genre audiovisueller Softwarekunst, der sogenannten generativen Kunst, entstehen Animation und Ton autonom – nach je eigenen inneren Regeln. Diese Regeln reichen von trivialen Formen der Randomisierung bis zu hoch entwickelten algorithmischen Techniken, die komplexe organische Prozesse simulieren oder sogar Modelle aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz in den Dienst visueller und musikalischer Komposition stellen. Ein solches autonomes Kunstwerk, das eine starke beispielgebende Wirkung entfaltete, ist Scott Draves’ Bomb (1993–1998), ein frei herunterladbares Softwaresystem, das eine fließende, texturierte, rhythmische, animierte und im Allgemeinen nicht-gegenständliche visuelle Musik generiert.[29] Bomb verwendet rekursive und nichtlinear iterierte Systeme, wie z. B. die Algorithmen zellulärer Automaten (die oft dazu herangezogen werden, um das Verhalten von Tierpopulationen zu simulieren), Reaktions-Diffusionsgleichungen (mit denen man die Herausbildung organischer Muster simuliert, wie z. B. die Rosetten eines Leoparden oder die Streifen eines Zebras) und Video-Feedback. Für Draves war eine der wichtigsten Neuerungen in Bomb die Idee, viele Regeln der ZA [zellulären Automaten] miteinander interagieren zu lassen; dies ermöglichte es dem Programm, eine wahrhaft riesige Bandbreite organischer grafischer Konfigurationen zu entwickeln.[30]

Während Bomb ohne Ton auskommt, verwendet Antoine Schmitts Nanoensembles (2002) einfache Techniken zur gleichzeitigen Generierung sowohl von Ton wie Animation.[31] Animierte kleine visuelle Elemente bewegen sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf dem Bildgrund hin und her, wobei jedes einen einfachen Endloston von sich gibt, dessen Lautstärke zu seiner Geschwindigkeit und Position in Beziehung steht. Da alle Elemente ihre jeweils eigene Umlaufperiode haben, erscheinen ihre Bewegungen schließlich phasenversetzt – was auch für den Klang eines jeden zutrifft. Das Resultat ist eine in ständigem Wandel begriffene und tatsächlich endlose audiovisuelle Komposition.

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Zeitrahmen:ab 1990
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