Audiovisuelle Software-Kunst

3 Die Transmutabilität der Daten: Die Darstellung von Inputsignalen durch Ton und Bild

Ein wichtiges Thema in audiovisueller Softwarekunst stellt auch die Transmutabilität digitaler Daten dar, wie sie in der Abbildung (im Mapping) des Dateninputs durch Ton oder Grafik zum Ausdruck kommt. Für derartige Arbeiten stellt die Prämisse, dass grundsätzlich jede Information auf algorithmischem Weg zum Klingen gebracht oder abgebildet werden kann, den Ausgangspunkt für eine konzeptuelle Transformation bzw. eine ästhetische Erfahrung dar. In manchen Projekten ist der genaue Ursprung der Inputdaten offensichtlich, in anderen nicht; die tatsächliche Quelle der umgewandelten Daten kann völlig belanglos sein. Das wird besonders deutlich in Data Diaries (2002) von Cory Arcangel. Hier hat der Künstler den Quicktime Movie Player von Apple dazu verwendet, um die gesamte Festplatte seines Computers einfach als ganz normale Filmdatei zu interpretieren.[9] Alex Galloway schreibt dazu in den Anmerkungen, die das Projekt einleiten: [Arcangels] Entdeckung sah so aus: Nimm eine riesige Datei – im konkreten Fall den gesamten Inhalt der Festplatte – und lass Quicktime glauben, es handle sich hier um eine Videodatei. Dann drück Play.[10] Obwohl die Vorgangsweise, deren sich Arcangel bei Data Diaries bedient, ein fast völliges Abrücken von künstlerischem Handwerk darstellt, kommt in den Ergebnissen, die seine gebrauchsfertige Technik liefert, trotzdem eine reine Glitch-Ästhetik zum Ausdruck, die mit Farbreichtum und musikalischer Qualität überrascht.

Die Verwandlungsfähigkeit der Daten an sich ist in den meisten Fällen nicht das vorrangige Ziel der betreffenden Arbeit; vielmehr wird diese als Mittel zu dem Zweck benutzt, einen Datensatz, der von speziellem Interesse ist, auf neue Weise verständlich, erfahrbar oder wahrnehmbar zu machen. Meist widmen die KünstlerInnen dabei der Ästhetik (gegebenenfalls auch der Lesbarkeit) der audiovisuell dargestellten Information besondere Aufmerksamkeit. Die Softwarekunst der Serie Emergent City des britischen Künstlers Stanza kann als stellvertretend für diese Richtung angesehen werden. Diese Projekte benutzen aus dem urbanen Raum stammende Daten als Basis für die Generierung audiovisueller Erfahrungen zum Thema Großstadt. In Datacity (2004), einer browserbasierten Shockwave-Applikation, nehmen Kameras an Standorten, die über ganz Bristol verteilt sind, Ton und Video in Realzeit auf, die dann collagiert und manipuliert werden, bis eine malerische Interpretation der Landschaft[11] entsteht; in Sensity (2004–2009) werden Messsignale, die von einem Netzwerk drahtloser Umwelt-Datensensoren generiert werden, das der Künstler in seiner Wohnumgebung installiert hat, auf dem interaktiven Display einer Landkarte zu audiovisuellen Teppichen zusammengefügt.[12] Dem User beider Projekte stehen dabei mehrere Benutzeroberflächen zur Verfügung, die eine noch weiter gehende Personalisierung der Tonmischung und des visuellen Erlebnisses ermöglichen. Andere KünstlerInnen haben Softwarekunst entwickelt auf der Basis audiovisueller Mappings von Wetterdaten, Netzwerkverkehr (Carnivore, 2001, von Alex Galloway und der Radical Software Group)[13], seismischen Aktivitäten (Mori, 1999, von Ken Goldberg u. a.)[14], Ebay-Benutzerdaten (The Sound of Ebay, 2008, von Ubermorgen)[15], topografischen Daten (G-Player, 2004, von Jens Brand)[16] und die Verwundeten- und Gefallenen-Statistiken der US-Militäraktion im Irak (Hard Data, 2009, von R. Luke DuBois)[17], um nur einige Beispiele zu nennen.

Die voyeuristische Softwareinstallation Listening Post (2001) von Mark Hansen und Ben Rubin bietet ein besonders bewegendes audiovisuelles Erlebnis; sie bildet Ton und typografische Bilder durch Mapping neben Textfragmenten ab, heruntergeladen in Echtzeit von Tausenden frei zugänglicher Chatrooms, Bulletin Boards und anderen öffentlichen Foren. Die Texte werden von einem Sprachsynthesizer gelesen (oder gesungen) und gleichzeitig auf einem von der Decke hängenden Gitter aus über zweihundert kleinen elektronischen Bildschirmen sichtbar gemacht.[18] Die sonst körperlosen Texte werden somit als Ton und animierte Typografie wiedergegeben; auf diese Weise leiht dieses Projekt buchstäblich Tausenden Menschen eine Stimme und positioniert sein Publikum inmitten eines Mahlstroms von Wünschen, Meinungen, Anfragen und Geplapper, der von überall auf der Welt hierher zusammengetragen wird.

Der Freiraum für das Design von Datenmapping-Projekten wird in Jim Campbells Formula for Computer Art (1996–2003), einem animierten Cartoondiagramm, in witziger Weise ins Visier genommen. Das Diagramm gibt auf hintergründige Weise zu verstehen, dass der Input bei vielen datenabbildenden Kunstwerken grundsätzlich willkürlich erfolgt – und daher auch beliebig austauschbar ist.[19]

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