Blight

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Still aus Blight (1994-1996) von John Smith
© John Smith, courtesy LUX
http://www.lux.org.uk/

Musik: Jocelyn Pook, Musiker: Electra Strings, Helen Ottoway (Klavier), Steven Parr (Musikaufnahme und Mischung), Roger Ollerhead (Ton), Clive Pandry (Mischung)

John Smith thematisiert in seinem 14-minütigen Film Blight den Abriss eines Straßenzuges für den Bau eines Autobahnverbindungsstücks in East London. Die Basis bilden originale Ton- und Bildaufnahmen, die jedoch so zusammengesetzt sind, dass die Grenze des rein Dokumentarischen überschritten wird.

Die ersten Bilder zeigen Ruinen und verlassene Häuser im britischen Arbeiterreihenhausstil, gefolgt von Aufnahmen vom Abbruch der Häuser. Kombiniert werden diese mit Sprachsegmenten, die wie beispielsweise Jordan and Kim und Kill the Spiders leitmotivisch wiederholt, zu Sätzen verlängert und durch immer neue Bausteine ergänzt werden, bis sie sich zu einem collageartigen, fast musikalischen Klanggefüge verdichten. Hinzu kommt eine zum Akkord anschwellende, motivisch werdende Streichermusik, die plötzlich abbricht, als die ersten Balken der Häuser fallen.

Die Sprachfetzen erweisen sich später als Off-Interview-Passagen und ergeben nach und nach einen Zusammenhang. Es handelt sich um Erinnerungen ehemaliger Hausbewohner und von ihnen wiedergegebene Aussagen offizieller Institutionen, die offenbar im Zusammenhang mit dem Abriss ihres Viertels gemacht wurden. Ergänzt werden sie durch Geräusche der Zerstörung wie kreischende Sägen oder brechendes Holz und zunächst extrem kurze, dann länger werdende Fragmente fahrender Autos, bis schließlich starker fließender Verkehr zu hören und zu sehen ist. Die musikalische Ebene setzt sich aus Streicher-, Klavier- und Rhythmuselementen, aber auch aus Gesangspassagen zusammen, die immer wieder ausklingen, überlagert werden, abreißen. Hinzu kommen Bilder mit Schriftzügen wie Exorcist, deren semantischer Gehalt genauso unmissverständlich eingesetzt wird wie das leitmotivische Kill the spiders oder das gesangliche Don´t really remember.

Aus diesen Elementen montiert John Smith eine präzise gesetzte, verschachtelte Konstruktion, die durch die immer wieder aussetzende Musik in einzelne thematisch klar definierte Formteile gegliedert wird. Der Vorspann und eine Straßenkarte am Ende bilden eine grafische Klammer für den Film, die Wörter Kill the spiders eine auditive. Dazwischen spielen in der Zuordnung zu Objekten (Autos) und zu Schriften Farbsetzungen eine ebenso strukturierende Rolle wie die selektiv gesetzten Geräusche einerseits und die kurzen Interviewsegmente andererseits. Bezeichnenderweise sind die Sprecher nie zu sehen, sie sind verschwunden. Damit werden die Stimmen, ebenso wie die den zurückgebliebenen Objekten zugeordneten Erinnerungsgeräusche, Vergangenheit, während man die Autos und die Abbrucharbeiten sieht und synchron hört und damit also eine Gegenwart (und eine nahe Zukunft) hergestellt wird.

Auf diese Weise wird in dem Film ein komplexes kompositorisches Ineinandergreifen von Sprache, Musik, Geräuschen, Bildschnitten und Motivauswahl praktiziert. Der Filmemacher John Smith, der bereits in anderen Filmen eine außergewöhnliche Sensibilität für audiovisuelle Wechselwirkungen und Kompositionsprinzipien bewies, hat hier seine von Sound Design und der Komposition von Jocelyn Pook kongenial begleitete (Montage-)Kunst in den Dienst einer klaren politischen Aussage gestellt. Blight ist ein exemplarisches Beispiel für einen dokumentarischen Film, der Klang und Bild als zwei komplementäre Schichten einer Komposition auffasst – ein gerade in dieser Gattung eher seltenes Vorgehen.[1]


Ähnliches, wenngleich bei Weitem nicht so hochkomplex, kann man im Film Megacities von Michael Glawogger (Ton: Ekkehard Baumung) aus dem Jahr 1998 finden.