Performance Art als Schnittstelle für Visuelles und Auditives

3.4 Der musikalische Akt

Fluxus betrachtete die künstlerische Praxis unter einer Mikroperspektive. Die Gruppe zielte nicht auf epische Großprojekte, sondern auf eine rigorose Sichtung und Bestandsaufnahme der klanglichen Materialien der Musik. Die meisten Mitglieder waren nicht Klangpluralisten wie Cage, sondern eher Klangpuristen, wenn auch nicht in einem essentialistischen Sinn. George Brecht verwendete den Ausdruck event, Ereignis, als Bezeichnung für die kleinste Einheit einer situation. Der Event bestimmte die Parameter eines musikalischen Fluxus-Aktes. Die Gruppe stellte aber auch durch die Auslotung des Territoriums der musikalischen Praxis und Aufführung Untersuchungen über den größeren Rahmen an, innerhalb dessen Musik als Bedeutungsträger fungiert. Diese Herangehensweise bedingt unter anderem auch eine Untersuchung der Gegenstände, mit denen Musik gemacht wird. Es ist nicht immer klar, wo eine dieser Strategien endet und eine andere anfängt, denn auch dies entspricht der Natur des flux. Soweit sich jedoch die verschiedenen Aktivitäten, die zusammen Fluxus ausmachen, auf einen Nenner bringen lassen, ist das Konzept einer Ästhetik der Negation eine gute Annäherung. Im Fall der Musik bedeutete das die ontologische Erkundung der Grenzbereiche des Begriffs Musik und der Bereiche, die zwischen ihr und den anderen Künsten liegen – kurz gesagt, die Erkundung dessen, was als musikalischer Akt betrachtet werden kann und was nicht unter diese Rubrik fällt.

Ein Ausgangspunkt für die Erforschung der klanglichen Natur der Musik war die von George Brecht, einer Zentralgestalt des Fluxus, so genannten Incidental Music. Es war dies eine ontologische Untersuchung mit indirekter Vorgangsweise, ohne auf die Sache selbst anzuzielen. Diese Methode ist nicht mit dem Interesse Cages an aleatorischen Prozessen zu verwechseln, denn in der Incidental Music ist der Klang ein Nebenprodukt der Aktion. Ihre Absicht ist eine andere als die einer konventionellen Aufführung, bei der Klang das Ergebnis zielgerichteten musikalischen Handelns ist, ebenso wie sie sich von Aufführungen von Cage-Stücken unterscheidet, bei denen der Klang unter Umständen das Resultat akzidentellen Handelns ist. Ein Beispiel ist Brechts Incidental Music von 1961. Das Werk besteht aus fünf Stücken für Klavier, wobei jede beliebige Anzahl von Stücken hintereinander oder auch gleichzeitig gespielt werden kann, in jeder Reihenfolge und Kombination, mit einander und/oder mit anderen Stücken. Das vierte Stück ist notiert wie folgt:

Drei getrocknete Erbsen oder Bohnen werden so fallen gelassen, dass sie nacheinander auf der Klaviatur landen. Jeder Samen, der auf der Klaviatur zu liegen kommt, wird mit den nächstgelegenen Tasten durch einen einzelnen Streifen eines druckempfindlichen Klebebandes verbunden. [9]

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Schlagwörter:Performativität
Zeitrahmen:1960 – 1970
Werkbeschreibungen aus anderen Texten

Werke: Incidental Music

Personen: George Brecht, John Cage

Körperschaften: Fluxus