Klang im Animationsfilm

2 Frühe Tonfilme

Um die Mitte der 1920er Jahre wurde an Technologien für den Tonfilm gearbeitet, mit denen die großen Studios sich einen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern sichern wollten. In den USA verwendeten z. B. Max und Dave Fleischer, die durch ihre Cartoons Betty Boop und Popeye bekannt werden sollten, ab Mai 1924 die Phonofilm-Technik für eine Reihe ihrer Song Car-Tunes genannten Filme.[1] Einige Filme in dieser Serie waren Sing-Alongs, welche die Zuschauer dazu ermunterten, dem bouncing ball zu folgen, der über dem Liedtext auf der Leinwand erschien. Die Technik war, Experten zufolge, eine Abwandlung der in Deutschland entwickelten Tri-Ergon-Technik, die die wichtigste Tonfilmtechnik der frühen 1920er Jahre in Europa darstellte.[2] Beide Technologien hatten eine Tonspur parallel zu den Bildern am Rand des Filmstreifens.

Tonfilme wurden ab 1928 zur Norm, und im Lauf der nächsten fünf Jahre trat die neue Technik ihren Siegeszug um die ganze Welt an. Die Visuelle Musik gewann ebenfalls an Bedeutung: Künstler experimentierten mit dem Medium Film, mit dessen Hilfe sie die Entsprechungen zwischen Ton, Bild und (letztendlich) Farbkorrespondenzen ausweiten wollten, wie sie von Wassily Kandinsky und anderen Künstlern, die sich für Synästhesie und die mystischen und spirituellen Komponenten der Kunst interessierten, theoretisch entwickelt worden waren. Im Werk Oskar Fischingers finden sich Beispiele dafür, u. a. seine abstrakten Farbfilme Kreise (DE 1933) und Radio Dynamics (US 1942). 1931 begann Fischinger, mit der neuen Form des gezeichneten Tons zu experimentieren und dehnte damit sein Interesse für abstrakte Kunst auf die Erzeugung synthetischer Klänge aus. Fischinger zeichnete und fotografierte Bilder auf die Tonspur des Filmstreifens, um die Korrespondenzen zwischen Formen und Klängen, die dabei zum Vorschein kamen, zu erforschen.[3]

Zu den ersten Studios, die auf Ton umstellten, gehörte in den USA Walt Disney. Steamboat Willie (US 1928) war der erste Disney-Film mit einem synchronisierten Lichttonverfahren. Dieser Film machte die Welt mit Mickey Mouse bekannt, und zwar vermittels des Cinephone-Systems von Pat Powers, das sich eng an Phonofilm anlehnte.[4] In den frühen Filmen der Mickey-Mouse-Serie (ab 1928) und ganz besonders in einer seiner weiteren Serien von Kurzfilmen, den Silly Symphonies (US 1929–1939), setzte Disney sehr stark auf eine enge Korrelation zwischen Ton und Bild, und bald verwendete man den Ausdruck Mickey Mousing zur Beschreibung von Arbeiten, in denen die Bewegungen in genauer Abstimmung mit dem Ton choreografiert sind.

Disney begriff sehr rasch, wie wertvoll Tonmaterial nicht nur als werbewirksame Innovation für die Vermarktung der Filme, sondern auch als separate Einnahmequelle sein konnte. Der Song Who’s Afraid of the Big Bad Wolf? des Komponisten Frank Churchill aus dem Silly-Symphonies-Film Three Little Pigs (US 1933) wurde als Single zum Bestseller, und das Studio erkannte, welchen kommerziellen Stellenwert Filmmusik einnehmen kann. Immer mehr Songs wurden in zentralen Szenen von Disney-Filmen verwendet. Die Folge war, dass sich die Spielfilm-Produktion dieses Studios, an deren Anfang Schneewittchen und die sieben Zwerge (US) aus dem Jahr 1937 steht, weitgehend in das Genre des Musicals verlagerte. Fantasia (US 1940) fasst Disneys Interesse an der engen Korrelation von Ton und Bild prägnant zusammen. Der Film, der im Arbeitstitel The Concert Feature hieß, besteht aus acht musikalischen Einheiten und einer Einleitung, die von Deems Taylor, sozusagen als dem Moderator dieses Events, gesprochen wird.

Andere auf Animation spezialisierte Studios benützten dasselbe Mittel, um Musik zur Geltung zu bringen. Fleischer vermarktete Musik, an der die Dachgesellschaft Paramount die Rechte hielt – z.B. in Snow White (US 1933, R: Dave Fleischer), mit Betty Boop und Ko-Ko the Clown in den Hauptrollen, den von Cab Calloway gesungenen St. James Infirmary Blues. Calloway stand in diesem Fall Modell: Die Bewegungen des Sängers, die einen hohen Wiedererkennungswert besaßen, wurden auf dem Weg der Rotoskopie[5] zu einem Teil der animierten Figur, die dieses Lied singt.

Warner Bros. produzierte die Serien Looney Tunes (US, ab 1930) und Merry Melodies (US, ab 1933), die weitgehend als Vehikel für die sehr große Musikbibliothek des Studios aufgebaut waren. Mit innovativer Musik und Geräuscheffekten, die Carl Stalling als Komponist und Tregoweth Brown als Tonmeister ab Mitte der 1930er Jahre für das Studio schufen, wurden Warner-Produktionen rasch bekannt. Brown entwickelte die für Warner charakteristischen clownesken Geräuscheffekte mithilfe der verschiedensten Geräuschquellen – Düsentriebwerke, Kuhglocken usw.

Mel Blanc war eine wichtige dritte Säule in der bemerkenswerten Tonabteilung von Warner Bros. Blanc lieh seine Stimme Figuren wie Porky Pig, Bugs Bunny, Daffy Duck und vielen anderen. Im Verlauf der 1930er Jahre fanden Blanc und andere breite Anerkennung als auf Animation spezialisierte Voice Actors oder Synchronsprecher. Dies gilt auch für Mae Questel, die in Fleischers Studio die Stimme von Betty Boop und Olive Oyl war, und June Foray, die durch ihre Sprechrollen bei Jay Ward Productions bekannt wurde. In dieser Ära erwartete man zwar von den SynchronsprecherInnen, dass sie für ihre Figuren eine regelrechte Persönlichkeit zur Verfügung stellten, ihnen selbst kam aber in den Augen des Publikums keine Starrolle zu.

Das Verhältnis zwischen Wort und Bild ist in animierten Filmen normalerweise ein anderes als im Realfilm. Dort ist es üblich, den Ton zusammen mit dem Bild aufzunehmen; manchmal wird auch der Dialog erst später mit einem Verfahren hinzugefügt, das man als ADR (Automatic Dialogue Replacement) oder Nachvertonung bezeichnet. Bei animierten Filmen hingegen wird der Dialog oft in einem frühen Stadium der Produktion aufgenommen, damit er für die Animation der Bilder herangezogen werden kann – in anderen Worten, das Bild folgt dem Ton. Nur wenn der Ton zuerst aufgezeichnet wird, ist synchronisierte Animation der Lippenbewegungen möglich. ADR kann in der Animation ebenfalls verwendet werden, wenn Lippensynchronisation nicht nötig ist.

Diese Technik arbeitete bereits mit einer auf dem Filmstreifen vorhandenen Tonspur; die Toninformation wurde von dem Projektor gelesen. Eine Illustration findet sich online bei The Complete Lee de Forest, http://www.leedeforest.org/hollywood.html. Für Einzelheiten zur Geschichte des Tons im Film siehe auch Donald Crafton, The Talkies: American Cinema’s Transition to Sound, 1926–1931, Berkeley 1999.  
Die Tri-Ergon-Technik wurde von Joseph Engl, Hans Vogt und Joseph Massolle erfunden. Der bedeutende amerikanische Erfinder Lee de Forest wurde offenbar in Europa Zeuge von Vorführungen dieser Technologie und kehrte mit seiner eigenen, angeblich verbesserten Version in die Vereinigten Staaten zurück.  
Der Produzent Pat Powers versuchte ursprünglich, die Rechte an dem Phonofilm-Verfahren zu erwerben; als ihm dies nicht gelang, heuerte er sich jemanden an, der ein Verfahren kreierte, das sehr ähnlich war.  
Die Rotoskopie ist ein Verfahren, bei dem Realfilm Einzelbild für Einzelbild projiziert, auf Papier abgepaust und noch einmal abgefilmt wird. Ein Effects Corner-Video von Scott Squires illustriert das Verfahren online: http://www.youtube.com/watch?v=z32h-b9-8Qw.  
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