Künstlermusiker & Musikerkünstler

3 Geräusche und performative Elemente als Schnittstelle

Busoni leitete überdies spätestens durch seinen bekannt gewordenen Traktat Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst (1907) ein radikales Umdenken in Bezug auf das musikalische Material ein, denn die Entfaltung der Tonkunst erfordere die Entwicklung neuer Musikinstrumente jenseits des Modells der chromatischen Klaviatur. Die Einbeziehung von Geräuschen in die Tonkunst im Sinne eines umfassenderen Musikverständnisses, die vor allem mit den Bestrebungen des Busoni-Schülers Luigi Russolo (1885–1947) in Verbindung gebracht wird, öffnete schließlich in besonderer Weise auch die Perspektive auf anderen Kunstgattungen. Der futuristische Maler und Komponist Russolo hatte die Geräuschmusik 1913 in seinem Manifesto dell’ Arte dei Rumori (Manifest der Kunst der Geräusche) und 1916 in seinem Band L’ Arte dei Rumori (Die Kunst der Geräusche) theoretisch begründet.[5] Gemeinsam mit dem Maler Ugo Piatti baute er sogenannte Intonarumori, Geräuscherzeuger, die skulpturalen Charakter besaßen. John Cage (1912–1992) arbeitete darüber hinaus mit technischen Medien-Apparaten wie dem Radio oder dem Plattenspieler, deren Einsatz die Grenzen der traditionellen Interpretation überschritt und den performativen Situationscharakter von Konzerten in den Vordergrund rückte. Ein wesentlicher Aspekt war dabei die Unvorhersehbarkeit bzw. Indeterminiertheit durch den Medieneinsatz und die Verwendung von Zufallsverfahren im Kompositionsvorgang selbst. Zudem arbeitete Cage gezielt mit Künstlern anderer Disziplinen wie dem Maler Robert Rauschenberg oder dem Tänzer und Choreografen Merce Cunningham in verschiedenen Projekten zusammen, so in der Gruppe Experiments in Art and Technology, deren Auftritte (z. B. 9 Evenings, 1966) als wegweisend für eine Verbindung von Technologie, bildender Kunst und Musik gelten.

Diese Ansätze fanden ihre Fortsetzung in der Konzeptkunst und in der Fluxus-Bewegung, in der die Werke in ihrer Dematerialisierung immer unabhängiger von Materialien, Techniken, Medien und Gattungen wurden und sich Ausdrucksformen herauskristallisierten, die sich einer eindeutigen Zuordnung zu den traditionellen Gattungen entzogen und beispielsweise musikalische und visuelle Elemente im performativen Akt verbanden.[6]

Beispielhaft dafür ist Nam June Paik, der ausgehend von seinem musikalischen Hintergrund in und mit verschiedenen Medien arbeitete und dabei unter anderem mit Tonband, Fernseher und Video experimentierte. Er führte zugleich den aktionistischen Aspekt weiter und baute unter anderem zerstörerische Handlungen in seine Kompositionen ein, so zum Beispiel in One for Violin Solo (1962), in der er in Form einer rituellen Handlung eine Geige auf einem Tisch zerschlug.

Medienübergreifend war auch seine langjährige und fast symbiotische Zusammenarbeit mit Charlotte Moormann, die sich nach einer traditionellen Karriere als Instrumentalistin beim American Symphony Orchestra in den 1960er Jahren zunehmend der Performance-Kunst zuwandte.

Ein Medien-Entgrenzer ist auch Tony Conrad, der in den 1960er Jahren minimalistische Konzepte sowohl in musikalischer als auch in visueller Form umsetzte und dabei zugleich die Materialität des jeweiligen Mediums von dessen Grenzbereichen her erkundete.[7] Sein übergreifendes Interesse an mathematischen, harmonischen Verhältnissen erprobte er zunächst als Mitglied der Gruppe Theatre of Eternal Music, der auch John Cale und La Monte Young angehörten, und anschließend in seiner radikalen filmischen Arbeit The Flicker (US 1966).[8]

Zudem soll auf Conrad der Name der legendären Band The Velvet Underground zurückgehen.[9]

In der Kooperation mit The Velvet Underground kulminierte gewissermaßen Andy Warhols interdisziplinäre Umtriebigkeit. Warhol, der sich in den 1950er Jahren bereits einen Namen als Werbegrafiker gemacht hatte, wendete sich in den 1960er Jahren vor allem dem Siebdruck sowie dem Film zu, hatte mit der Factory einen Ort geschaffen, der zum Treffpunkt von Schauspielern, Musikern, Malern und Tänzern avancierte und übernahm zeitweilig das Management der Band The Velvet Underground. 1966 inszenierte er unter dem Titel Exploding Plastic Inevitable eine Serie von multimedialen Happenings, bei denen neben der Band unter anderem Dia- und Filmprojektionen sowie Tänzer zum Einsatz kamen. Nachdem er das deutsche Modell Christa Päffgen zusätzlich als Sängerin engagiert hatte, produzierte, gestaltete und vermarktete er ihr Debütalbum The Velvet Underdound and Nico, das 1967 erschien.[10] Damit wurde Warhol nicht nur zur personifizierten Verbindung zwischen Popkultur und Kunstwelt, sondern auch zu einer multiplen Künstlerpersönlichkeit, wie sie für die folgenden Jahrzehnte typisch werden sollte.

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