Klangkunst

3 Raum als Partitur

Der Raum spielt für Klangkunst eine zentrale Rolle, weil er die Zeit als primären strukturellen Rahmen häufig ersetzt. Soziale und pragmatische Funktionen und die Geschichte eines Ortes liefern einen maßgeblichen Teil des Kontexts, in dem Produktion und Rezeption nun stattfinden. Der gebaute, architektonische Raum mit seinen implizierten Wegen, Richtungen und Perspektiven bildet den Bewegungsrahmen, an dem sich die Abfolge von Hör- und Sehpositionen, von Verweildauern etc. orientiert. Läuft musikalische Form in der Zeit ab, so gewinnt Klangkunst ihre Form aus sinnhaft aufeinanderfolgenden Teilen aus der Eigenbewegung der Rezipienten, die sich zwischen räumlichen Vorgaben und individuellen Entscheidungen konstituiert.

In Drive-in Music (1967/1968) installierte Max Neuhaus entlang einer Straße eine große Anzahl von Radiosendern mit geringer Reichweite, die alle auf derselben Frequenz zu empfangen waren. Durch unterschiedliche Klänge und Ausrichtungen der einzelnen Sender ergab sich für Autofahrer mit entsprechend eingestelltem Autoradio je nach Geschwindigkeit und Fahrtrichtung eine individuelle Klangfolge. In Times Square erhielt das Konzept eine dauerhafte Form. Bei La Monte Youngs Dream House (seit 1962) wirkt sich Raumbewegung auf die Klangfolge aus. Streng mathematisch aufeinander abgestimmte Sinustöne bilden ein komplexes Raummuster stehender Wellen. Je nachdem, ob sich das Ohr in einem Schwingungsbauch oder -knoten einer Frequenz befindet, ist diese Frequenz entweder zu hören oder still. So entstehen Frequenzkombinationen, die bei Stillstand des Hörers erstarren und bei Bewegung in eine fließende Dynamik geraten, vergleichbar dem komplexen Spiel der visuellen Linien und Proportionen, wenn sich ein Betrachter durch den Raum bewegt.

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