Audiovisuelle Wahrnehmung

6 Intermodale Analogie

Neben den modalen Qualitäten, die jeweils exklusiv für nur einen Sinn auftreten (zum Beispiel Tonhöhe für den Gehörsinn, Farbe für den Gesichtssinn) gibt es auch amodale (oder intersensorielle[12]) Qualitäten, die über mehrere Sinne hinweg wahrzunehmen sind. Der Psychologe Heinz Werner hat sich schon in den 1960er Jahren eingehend mit diesen Phänomenen beschäftigt: Wenn wir sagen, dass ein Ton stark oder schwach, dass ein Druck stark oder schwach ist, so meinen wir in allen diesen Fällen zweifellos eine Eigenschaft, die in allen diesen Sinnesgebieten die gleiche ist. Neuere Forschungen haben nun ergeben, dass es zweifellos viel mehr Eigenschaften gibt, die gleich der Intensität als intersensoriell zu bezeichnen sind, als es die ältere Psychologie angenommen hat. [13] Werner listet folgende Eigenschaften auf, mit denen es möglich ist, Analogien über die Sinnesgrenzen hinweg zu bilden: Intensität, Helligkeit, Volumen, Dichte und Rauheit – laut Michel Chion stehen diese und weitere amodale Qualitäten sogar im Zentrum unserer Wahrnehmung.[14]

Anhand dieser Dimensionen ist es möglich, Sinneseindrücke verschiedenster Modalitäten miteinander in Beziehung zu bringen, also intermodale Analogien zu entwerfen. Der eingeleitete Vorgang erfolgt im Gegensatz zur multimodalen Integration bewusst und aktiv, da nach einem Vergleichskriterium gesucht wird, das meist in einer der amodalen Dimensionen gefunden wird. So kann zum Beispiel die Frage, welcher Ton zu einer Farbe passt, über die Dimension Helligkeit entschieden werden. Die Bildung derartiger Analogien wird vom Kontext beeinflusst, sind doch etwa die Farbe oder die Lautheit eines Objektes keine absoluten Werte, sondern immer nur in Relation zur Umgebung zu bewerten. Intermodale Analogien weisen von Person zu Person tendenziell gesetzmäßige Züge auf (kleine interpersonale Varianz), während synästhetische Zuordnungen sehr unterschiedlich ausfallen (große interpersonale Varianz). Insgesamt scheinen die Dimensionen Helligkeit und Intensität bei der Bildung von intermodalen Analogien von zentraler Bedeutung zu sein.[15]

Der Psychologe Albert Wellek hat ähnlichen Zusammenhängen schon in den 1920er Jahren nachgespürt. Er konnte durch experimentelle Überprüfung eine Liste von sechs Zuordnungen aufstellen (Ursynästhesien), die seiner Meinung nach von allen Völkern zu allen Zeiten nachvollziehbar und somit in der menschlichen Wahrnehmung fest verankert seien (dünne Formen entsprechen hohen Tönen, dicke Formen entsprechen tiefen Tönen und so weiter). Die historisch belegbare Allgemeinmenschlichkeit dieser einfachsten Sinnesparallelen geht soweit, dass jedermann noch heute alle sechs Entsprechungen wenigstens in einer der angegebenen Formen gültig und verständlich finden wird.[16] Auch unsere westliche Notenschrift steht in deutlicher Übereinstimmung mit diesen Ursynästhesien, da zum Beispiel die Tonhöhe in der visuellen Analogie hoch – tief dargestellt wird, was für uns intuitiv Sinn macht.

Nach Einschätzung des Autors werden die Begriffe amodal und intersensoriell in der Literatur gleich verwendet.  
Bei der Verknüpfung von Tonhöhen mit Farbwerten über die Dimension Helligkeit handelt es sich wohl um die einzige sinnstiftende Analogiebildung zwischen diesen beiden Domänen. Ein bekanntes Verfahren, bei dem die Teilnehmer versuchen, unterschiedliche Sinnesbereiche über die Dimension Intensität zu korrelieren, ist das sogenannte Cross-Modality-Matching.  
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